Sonntag, 12. September 2022:
Teilnahme am „Tag des offenen Denkmals®“
Thema: „KulturSpur. Ein Fall für den Denkmalschutz“
https://www.tag-des-offenen-denkmals.de/

Bericht über die Führung am 11. September 2022:
Das Schänzle – gestern und heute

Nach der Begrüßung durch unseren Vereinsvorsitzenden Herrn Regierungspräsident Klaus Tappeser, führten unsere Ausschussmitglieder Ursula Kuttler-Merz, Gunther Diehl und Hubert Heberle die gut 60 Teilnehmer durch das Rottenburger Schänzle auf beiden Seiten des Neckars.

Sie erzählten fundiert und gespickt mit unterhaltsamen Anekdoten und eigenen Erinnerungen durch die Geschichte des Schänzles: von der „habsburgischen Herrschaftsinsel“ über das beliebte Männerbad bis zur Umgestaltung als Freizeitgelände. Seit ein paar Jahren wird das Schänzle wieder umgestaltet und die historische Wasserführung von Kanal und Weggentalbach erneut verändert. Hierzu gab es auch kritische Stimmen von Teilnehmern der Führung zum Umgang mit der Natur.

Schänzle und Umgebung um 1800

Einführend berichtete Ursula Kuttler-Merz über die historische Geschichte des Gebiets zwischen Neckar und dem Mühlgraben. Die Stadt endete vom Mittelalter bis Anfang des 19. Jahrhunderts am Kiebinger Tor (Ecke Zwinger/Bierhalle). Der Mühlgraben vereinigte die in der Stadt verlaufenden Gräben und Kanäle und auch den Weggentalbach. Noch heute zeugen die Straßennahmen „Im alten Mühlgraben“, „Unterwässer“ und „Klein Venedig“ von dieser wasserreichen Vergangenheit.

Die Insel war aufgeteilt in „Herrschaftliche Insel“ (habsburgisches Eigentum, heute Schänzle) und Färberinsel (frühere Gärtnerei Edelmann, heute Haus am Neckar), dazwischen war die Gipsmühle.

Weiter berichtete Ursula Kuttler-Merz über die frühere Nutzung des Schänzle als Garten für Obst und Gemüse, als prämierte Anlage der Kleintierzüchter (ab 1938). An der heutigen Gabelung der Schuh- und Gartenstraße lag angrenzend im 15. Jahrhundert der jüdische Friedhof (siehe Karte um 1800: „Grün Gärtle“). Die Außenmauer des „Grün Gärtle“ ist heute noch vorhanden, sie umschließt die heutige Fa. Lanz. Jüdische Einwohner sind in Rottenburg ab 1286 belegt, noch heute zeugt das Judengäßle in der Altstadt davon, es gab auch eine jüdische Synagoge.

Überliefert ist auch, dass Färber Ferdinand Welker neben dem Gebäude „Edelmann“ im Unterwässer ca. 6.000 m² Baumwiese im Schänzle besaß.

Das Schänzle -vielen Dank an Ursula Kuttler-Merz für die Bilder:

Der östliche Teil des Schänzle und die Mühlen wurden im 19. Jahrhundert vom „Mühlenkönig“ Joseph Pfeifer erworben. Pfeifer als neuer Eigentümer lies das auf Höhe des heutigen Priesterseminars gelegene Streichwehr abreißen, die Kanäle in der Stadt zuschütten und baute im Schänzle ein hölzernes Fallenwehr (1834), eine steinerne Brücke als Zugang und nutze das Schänzle als seinen Hausgarten.

Pfeifer, einer der reichsten Rottenburger verstarb 1842. Sein Nachlass war so groß, dass die übliche Versteigerung eine Woche dauerte. Sein Enkel Eduard Pfeifer nutze das Schänzle als Geflügelhof, Baumwiese und Obstanlage, er pflanzte große italienische Pappeln, die heute leider nicht mehr stehen.

Noch 1881 fuhren durch die Floßgasse des Fallenwehrs 123 Flöße. Die Baumstämme, hauptsächlich. aus dem Schwarzwald, wurden Richtung Rhein geflößt (bis nach Rotterdam). Mit dem Ausbau der Eisenbahnstrecken (Rottenburg 1861) verlor die Flößerei Ihre Bedeutung, 1899 führ das letzte Floß am Schänzle vorbei.

Die rauen Flößergesellen stiegen in den Flößergaststätten wie „Rössle“ und „Linde“ (später Betten-Maier) an der Oberen Brücke ab und brachten so manchem Rottenburger Jugendlichen das Fluchen bei.

Gunther Diehl konnte hierzu viele Details und Erzählungen beisteuern. Seinem beim Fallenwehr angestellten Onkel verdanken wir die Fotos aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Fallenwehr wurde im Zuge der Neckarkorrektur 1966 abgerissen und machte dem heutigen, etwas weiter unten gelegenen Stauwehr der Stadtwerke Rottenburg Platz.

Problematisch für das hölzerne Fallenwehr waren Hochwasser, Treibholz und Eisgang -dick gefrorene Eisschollen- hier musste die noch junge Bundeswehr im März 1963 sogar das Neckareis sprengen, damit das Wehr nicht beschädigt oder zerstört wurde.

Das „Stellen“ der hölzernen Fallen zur Regelung des Wasserdurchflusses war schwere Knochenarbeit. Zu zweit musste jede Falle von Hand mit großen „Torkeln“ über Holzgewinde gestellt werden.

Das Pfeifersche Fallenwehr -vielen Dank an Ursula Kuttler-Merz und Gunther Diehl für die Bilder:

Die Rottenburger Jugend nutze das Fallenwehr verbotenerweise auch als Abenteuerspielplatz, vor allem den Durchgang auf die jeweils andere Neckarseite. Wer erwischt wurde, musste mit einer körperlichen Züchtigung rechnen –konnte aber zum Trost auf ein „Gsälzbrot“ der Arbeiterfrauen hoffen.

Lange Zeit war die „Obere Brücke“ (ab 1317) die einzige über den Neckar, es folgten die „Mittlere Brücke“ (Holzbrücke um 1872), die „Kepplerbrücke“ –das historische Schänzle teilend- wurde 1929 fertiggestellt. Alle 3 Brücken wurden in den letzten Kriegstagen 1945 gesprengt, so dass der Übergang auf dem Fallenwehr die einzige trockene Verbindung zwischen den beiden Stadtteilen Rottenburg und Ehingen war.

Im Schänzle gab es auch das Männerbad mit Badehütte –die Damen badeten in der Neckarhalde. Das Dach der Badehütte diente als 3-Meter-Brett, manche Buben sprangen auch von der Kepplerbrücke in den Fluss.
Auch Josef Eberle alias Sebastian Blau hat über seine Jugenderinnerungen zum Baden im Neckar geschrieben.

Bereits beim Bau des heutigen Stauwehrs zur Stromerzeugung 1969, hat der damalige Rottenburger 1. Bürgermeister Rudolf Stemmler die Notwendigkeit einer örtlichen, möglichst autarken Energieversorgung der Stadt hervorgehoben -ein Thema das aktueller ist denn je.

Doch auch bei der Gestaltung unserer Flüsse hat ein Umdenken eingesetzt: weg von der Wasserautobahn hin zu Renaturierung und Revitalisierung, auch zum Hochwasserschutz.

Weiter ging die Führung auf die andere Seite des Neckars. Auch hier gab es das Schänzle: vom Deichelweiher über das Gelände des Schlachthofes hin zur früheren Uhrenfabrik Junghans/dem Margretwerk.

Gunther Diehl berichtete über die Herkunft des Namens Deichelweiher: Hier wurden die hölzernen Deicheln -aufgebohrte Holzstämme-, ins Wasser gelegt, um danach als zusammengesteckte hölzerne Wasserleitungen dicht zu schließen. Historische Leihgaben der Stadtwerke wie eine Deichel und ein mehrere Meter langer Bohrer veranschaulichten die damalige Technik der Wasserversorgung. Reste davon werden immer wieder bei Bauarbeiten gefunden, so auch im Kreuzerfeld. Ob sich der Name des heutigen Ehinger Wohngebiets „Teichlensiedlung“ oberhalb der Bahnlinie auf die Deicheln bezieht kann vermutet, aber nicht belegt werden.

Das Schänzle in der Urkarte um 1824. Landesarchiv Baden-Württemberg

Hubert Heberle erzählte abschließend von der städtebaulichen Veränderung der Stadt Rottenburg. Waren es Anfang des 18. Jahrhunderts noch 5.000 Einwohner innerhalb der Stadtmauern, wuchs die Stadt in der Folge stetig über Ihre mittelalterliche Grenze hinaus, einhundert Jahre später waren es schon 7.500, heute hat alleine die Kernstadt über 17.000 Einwohner.

Dadurch wurden einstmals frei vor der Stadt liegende handwerkliche Betriebe -wie der Schachthof- nun auch von Wohngebäuden umgeben.

Üblicherweise waren es Ende des 19. Jahrhunderts Wohn- und Bauernhäuser die vor den Toren der Stadt errichtet wurden. Genau am Standort unserer Führung im Deichelweiher erbaute dann 1895 der Bauunternehmer Wilhelm Wachendorfer etwas Besonderes und Neues, nämlich ein herrschaftlich repräsentatives Haus mit Zinnen und Flachdach (ursprünglich, heute nicht mehr), vielleicht eine Anregung von Urlaubsreisen.

Postinspektor Fischer konnte das Haus 1923 erwerben. Während der Weltwirtschaftskrise und der daraus folgenden Hyperinflation bezahlte er 80 Millionen Reichsmark. Später heiratete Volksschullehrer Heberle in die Familie ein. Er wurde aufgrund seiner Frisur „Glatze“ genannt, der Volksmund übernahm den Spottnamen für das ganze Haus, das nun als „Villa Glatze“ bekannt wurde. Berüchtigt und bekannt war Heberle auch durch die Verteilung schmerzhafter Tatzen an seine Schüler.

 

Etwas weiter östlich, ungefähr im Hof des späteren Schlachthofs, stand damals die „Holzherrsche Mühle“. Die Stadt wollte das Grundstück unbedingt kaufen. Neben dem Stauwehr sollte ein Schlachthof gebaut werden, ideal, da für die Kühlung viel Energie gebraucht wurde.

Am 10.04.1902 wurde endlich der Kaufvertrag abgeschlossen und, oh Unglück, 9 Tage später ist die Mühle bis auf die Grundmauern abgebrannt. Es hieß dann: „Wäre die Mühle nicht abgebrannt, hätten wir keinen Schlachthof bekommen“.

Auch der Schlachthof wurde in einem besonderen, sehr ansprechender Stil erbaut.

Unverputzte Backsteingebäude wurden im 18 und 19. Jahrhundert häufig erstellt, insbesondere außerhalb des alten Ortskerns an den Ausfallstraßen. Weitere Beispiele in Rottenburg sind die Turn- und Festhalle und die Mädchenschule St. Klara.

Diese Gebäude waren Zeichen besonderer Wohnqualität des aufstrebenden Bürgertums und wurden oft auf Postkarten abgebildet. Heute stehen sie meist unter Denkmalschutz, so auch der Rottenburger Schlachthof.

Historische Backsteingebäude sind oft hinter neue. moderne Gebäude in den Hintergrund geraten und haben teilweise ihre Funktion verloren. Es besteht die Gefahr, dass aufgrund neuer, anderer Nutzung durch Umbaumaßnahmen ein Backsteinbau in seiner ursprünglichen architektonischen Gestalt in negativer Weise verändert wird. Hoffen wir, dass es beim Schlachthof nicht auch so sein wird.

Die heutige und künftige Nutzung des Gebiets und des Schlachthofs erschwert sich durch die rechtliche Einstufung von Wohn-, Gewerbe- und Mischgebieten, wobei die Richtlinien sich manchmal nur in Nuancen unterscheiden und unterschiedlich ausgelegt werden. Hat der Schlachthofbetrieb auch nach einem Umbau noch Bestandsschutz? Die Ansichten dazu gehen auseinander.

Festzuhalten bleibt, dass die Nutzung und Gestaltung des Schänzle dem stetigen Wandel und Zeitgeist folgen, immer kritisch von den Bürgern der Stadt begleitet.

Das große Interesse an unserer Führung und die aktuellen Diskussionen und Meinungen zur Umgestaltung des Schänzle und der künftigen Nutzung des Schlachthofs zeigen, dass dies auch in der Zukunft so sein wird.

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